Louis Gave, Gavekal: «Das Fed wird die Zinsen aus politischen Gründen senken» (2024)

Interview

Louis-Vincent Gave, CEO und Mitgründer von Gavekal Research, spricht im Interview über die wichtigsten Entwicklungen in der Weltwirtschaft und verrät, wo er mit Blick auf 2024 sein Geld investieren würde.

Mark Dittli ✉️

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Louis-Vincent Gave ist ein scharfsinniger Beobachter der geopolitischen und makroökonomischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Die Analysen des Mitgründers der Hongkonger Research-Boutique Gavekal zählen für viele Investoren weltweit zur Pflichtlektüre.

Im grossen Jahresend-Interview teilt Gave seine Ansichten zur Frage, ob der US-Wirtschaft eine harte Landung droht und wann die US-Notenbank (Fed) die Zinsen senken wird. Er denkt, in China könnte der Punkt des «maximalen Pessimismus» erreicht sein. Die grössten Anlagechancen sieht Gave in Schwellenländern, in ausgewählten Rohstoffmärkten sowie in Japan.

Louis Gave, Gavekal: «Das Fed wird die Zinsen aus politischen Gründen senken» (1)

Herr Gave, in den vergangenen Wochen hat sich die Hoffnung gefestigt, dass das Fed 2024 eine Reihe von Zinssenkungen beschliessen wird. Die Marktteilnehmer erwarten eine sanfte Landung: Der Inflationsdruck lässt nach, eine Rezession bleibt aus, die Zinsen sinken. Was halten Sie davon?

Ich vertrete seit längerer Zeit die Meinung, dass der strukturelle Inflationsdruck nicht so einfach zu besiegen ist und dass, zweitens, die US-Wirtschaft nicht in eine Rezession fallen wird. Das gilt immer noch. Ich denke nicht, dass der US-Wirtschaft unmittelbar eine Rezession droht, und ich glaube nicht, dass die Inflation bereits besiegt ist. Mit diesen Ansichten müsste ich eigentlich davon ausgehen, dass das Fed die Zinsen im kommenden Jahr überhaupt nicht senken wird. Aber ich denke, dass 2024 die Politik alle anderen Überlegungen dominieren wird. Wenn man heute nach Washington geht, ist jede Person, mit der man spricht, besorgt, dass Donald Trump zurückkommen wird. Der Ex-Präsident hat die letzten drei Jahre damit verbracht, dem Establishment die Schuld an seiner Niederlage zu geben. In Washington herrscht grosse Angst davor, was Trump tun könnte, wenn er wieder ins Weisse Haus einzieht. Vor diesem Hintergrund ist jedes Mittel recht, um seine Rückkehr zu verhindern. Dazu zählt auch, die Wirtschaft und die Finanzmärkte mit fiskal- und geldpolitischen Mitteln anzufeuern.

Sie denken also, das Fed wird die Zinsen senken – aber hauptsächlich aus politischen Gründen?

Ich denke, die Fed-Verantwortlichen sind der Ansicht, dass sie die Inflation in den Griff bekommen haben und das Thema nicht mehr so wichtig ist. Sobald wir die geringste Andeutung einer Konjunkturabschwächung sehen, sobald die Arbeitslosenquote zu steigen beginnt, werden sie die Zinsen senken. 2024 wird kein normales Wahljahr sein, in dem sich der Beamtenapparat der USA politisch neutral verhalten wird.

Die Robustheit der US-Wirtschaft angesichts des heftigen Zinsanstiegs hat viele Anleger überrascht. Was steckt dahinter?

Für mich ist eine Rezession in der Regel die Folge eines doppelten Schlages. Die meisten Unternehmen und Personen können einen einzelnen Schlag verkraften. Sie haben den Schlag der höheren Zinsen eingesteckt und sind noch auf den Beinen. Hätten sie einen zweiten Schlag in Form höherer Energiepreise erhalten, hätte sie das vielleicht umgehauen. Aber dieser Schlag kam nicht. Im Gegenteil, die Öl- und Benzinpreise sind gesunken. Damit hat sich die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, dass wir keine Rezession sehen werden. Das heisst nicht, dass es nicht zu einer Verlangsamung kommen wird, aber eine harte Landung sehe ich nicht. Ein wichtiger unterstützender Grund sind die massiven Budgetdefizite, die die Regierung anhäuft. Das Haushaltsdefizit beläuft sich derzeit auf 300 Mrd. $ pro Monat, das ist absoluter Wahnsinn. In dieser Phase des Konjunkturzyklus sollte die Regierung einen Haushaltsüberschuss anstreben. Aber das Defizit wird immer grösser. Das stützt die Wirtschaft.

Auf der anderen Seite des wirtschaftlichen Spektrums war China 2023 die grosse Enttäuschung. Wie schätzen Sie China ein?

Zunächst muss ich gestehen, dass ich vor einem Jahr in Bezug auf China vollkommen falsch lag. Sie erinnern sich, dass ich Ihnen gesagt hatte, wir würden einen Wiedereröffnungsboom sehen. Das war ein Irrtum. Ich dachte, das Ende der Null-Covid-Politik würde ähnlich wie in den USA oder Europa einen Konsumrausch auslösen.

Wieso kam es nicht dazu?

In den USA hat sich ein Teil der Bevölkerung während der Pandemie daran gewöhnt, zu Hause zu sitzen und Netflix zu schauen – was dazu führte, dass einige von ihnen beschlossen, nicht mehr zur Arbeit zurückzukehren. Die Folge waren Arbeitskräftemangel und steigende Löhne. Steigende Löhne wiederum, in Kombination mit extrem grosszügigen Zuschüssen der Regierung, heizten den Konsum an. In China dagegen zogen Millionen von Wanderarbeitern während der Pandemie zurück in ihre Dörfer, strömten dann aber sofort wieder in die Städte, nachdem die Regierung die Null-Covid-Politik beendet hatte. Das führte, im Gegensatz zum Westen, zu sinkenden Löhnen, was den Konsum belastete. Gleichzeitig setzte sich der Preiszerfall im Immobiliensektor fort, was die Ausgabefreudigkeit der Haushalte ebenfalls dämpfte. Lohndruck und fallende Immobilienpreise bildeten eine üble Kombination.

Was bedeutet das für die Zukunft?

Zunächst müssen wir anerkennen, dass es in China keinen wirtschaftlichen Zusammenbruch gegeben hat – und das, obwohl der extrem wichtige Immobiliensektor seit mehreren Jahren eine politisch gewollte Abkühlung durchläuft. Die Wirtschaft ist einigermassen stabil geblieben, es war keine komplette Katastrophe. Abgesehen von einigen Immobilienentwicklern sind nicht viele Unternehmen Konkurs gegangen. Das grösste Problem für China sehe ich heute darin, dass das Vertrauen der Menschen in ihre politische Führung gebrochen ist. Ich war gerade in China, und die Menschen haben das Gefühl, dass die Regierung unberechenbar und wahrscheinlich sogar inkompetent geworden ist. Auf Ebene der Provinz- und Regionalregierungen haben die Beamten Angst, Initiative zu zeigen. Sie warten auf Befehle von oben. Jeder Unternehmer, den Sie treffen, erzählt Ihnen, dass das, was früher eine Woche gedauert hat, jetzt einen Monat dauert, und was früher einen Monat gedauert hat, jetzt ein Jahr. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.

Schafft das nicht Raum für positive Überraschungen?

Ja, man könnte das durchaus bullish auslegen. Die Bewertungen am chinesischen Aktienmarkt sind supergünstig, alle sind pessimistisch. Alle ausländischen Investoren haben sich verabschiedet, alle sagen, die China-Story sei vorbei. Das könnte der Höhepunkt des Pessimismus sein. Normalerweise wäre das der Zeitpunkt, an dem man nach Schnäppchen Ausschau halten sollte. Die Herausforderung bleibt aber: Was ist der Auslöser, der die Kurse nach oben treibt? Unter chinesischen Investoren besteht die Auffassung, dass dieser Auslöser nicht von der Regierung kommen wird. Das Vertrauen in die Regierung ist heftig erschüttert worden. Meiner Ansicht nach findet die interessanteste Entwicklung in der Weltwirtschaft derzeit ohnehin nicht in China statt, sondern in anderen Schwellenländern.

Inwiefern?

In den letzten 25 Jahren haben die meisten Investoren das Thema Schwellenländer mit China gleichgesetzt. Wenn es China gut geht, geht es den Emerging Markets gut, und umgekehrt. Diese galten nur als Zubringer-Ökonomien für China. Aber 2023 haben die Aktienmärkte in Indien, Brasilien, Mexiko oder in südostasiatischen Ländern wie Indonesien glänzend abgeschnitten. Wir hatten eine Baisse in China, einen überaus aggressiven Straffungszyklus des Fed, und gleichzeitig erlebte Brasilien eine Hausse. Das wäre vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Es herrscht ein Boom in den Schwellenländern, aber viele Investoren beachten ihn nicht, weil sie nur die Baisse in China sehen. Indien investiert derzeit jährlich 150 Mrd. $ in Infrastrukturprojekte. Das entspricht etwa der Grössenordnung, die wir in China zwischen 2003 und 2008 gesehen haben. Indien hat in den letzten paar Jahren siebzig neue Flughäfen eröffnet und baut siebzig weitere.

Sie haben kürzlich ein Research-Papier publiziert, in dem Sie zeigen, dass die Globalisierung unter den Schwellenländern in vollem Gange ist, während wir im Westen von Deglobalisierung und Entkopplung sprechen.

In wirtschaftlicher Sicht sind die Schwellenländer stärker denn je integriert. Chinas Exporte in die USA betrugen vor der Covid-Pandemie rund 40 Mrd. $ pro Monat. Heute sind es immer noch rund 40 Mrd. $ – man kann also sogar sagen, dass es kaum eine Entkopplung gab. Aber Chinas Exporte nach Südostasien betrugen vor Covid 20 bis 25 Mrd. $, heute sind es 50 bis 55 Mrd. $ pro Monat. Die chinesischen Exporte nach Südostasien haben sich verdoppelt. Es findet eine echte Verlagerung statt. Möglicherweise erleben wir gerade die erste Globalisierungswelle seit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, bei der die westliche Welt nicht mehr das Sagen hat, wenn es darum geht, das Kapital, die Logistik und den Endmarkt für Konsumgüter bereitzustellen. In der Vergangenheit war der Westen zumindest immer an der Rückführung der Handelsgewinne beteiligt. Wenn Saudi-Arabien mit Indien Handel trieb und Gewinne erzielte, wurden diese in der Regel in Immobilien in London, in US-Staatsanleihen oder in Häuser in St. Tropez reinvestiert. Aber selbst das geschieht nicht mehr. Seit der Beschlagnahmung der Vermögen russischer Oligarchen halten es viele Investoren in Schwellenländern für sicherer, ihr Geld nicht mehr im Westen anzulegen. Aus diesem Grund boomen Orte wie Dubai oder Singapur.

Wo sehen Sie heute die spannendsten Anlagemöglichkeiten?

Louis Gave, Gavekal: «Das Fed wird die Zinsen aus politischen Gründen senken» (2)

Um diese Frage zu beantworten, können wir mit einem kurzen Rückblick beginnen. 2023 haben wir an den Finanzmärkten fünf grosse Bullenmärkte gesehen: In den Aktien der amerikanischen Tech-Giganten, für die sich der Begriff der glorreichen Sieben etabliert hat; Japan; Indien; Staatsanleihen und Aktien in Mexiko und Brasilien; sowie Uran, wo wir eine parabolische Preisbewegung erlebt haben. Wenn wir nun versuchen, den Blick in die Zukunft zu werfen, können wir der Frage nachgehen, welche dieser Bullenmärkte in der Lage sein werden, ihren Lauf fortzusetzen.

Beginnen wir also mit den glorreichen Sieben. Ist es klug, noch auf den Zug aufzuspringen?

Das würde ich nicht tun. Aber bedenken Sie: Das habe ich schon vor einem Jahr gesagt, und ich lag völlig falsch. Es ist nicht auszuschliessen, dass wir uns in eine Welt bewegen, in der die US-Techkonzerne eine unangefochtene Dominanz ausüben werden. Das ist im Grunde genommen das Szenario, das die Börse einpreist. Ich bin einfach skeptisch, denn wie die historische Erfahrung zeigt, ist es für grosse Unternehmen unfassbar schwierig, für lange Zeit an der Spitze zu bleiben. Wenn man sehr gross wird, wird man faul und selbstgefällig, die Regierungen sind hinter einem her, man stolpert irgendwann. Die glorreichen Sieben haben an den Börsen einen Status erreicht, den man im Englischen mit «Overloved, Overowned and Overvalued» bezeichnen würde. Sie sind beliebt, sie sind in allen Portfolios übervertreten, und sie sind überbewertet.

Wie sieht es mit Bullenmarkt Nummer zwei aus, Japan?

Bevor wir über japanische Aktien sprechen können, müssen wir über den Yen sprechen. Dessen Wechselkurs ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Mit 145 bis 150 Yen pro Dollar ist die Valuta, gemessen an der Kaufkraftparität, um zwei Standardabweichungen unterbewertet. Was soll’s, könnte man sagen, sind die schwedische Krone oder der südafrikanische Rand nicht auch unterbewertet? Stimmt, aber diese Länder sind nicht die zweit- oder drittgrösste Industriemacht der Welt. Die Schwäche des Yen stellt eine Anomalie im System dar. Die grosse Frage für 2024 lautet also: Bleibt der Yen billig, oder wertet er auf? Diese Frage hat enorme Konsequenzen.

Welche?

Bleibt der Yen billig, sind japanische Unternehmen auf dem Weltmarkt äusserst wettbewerbsfähig, und das wird in Europa, besonders in Deutschland, zu Problemen führen. Ein billiger Yen wird auch die Exporte der chinesischen und koreanischen Industrie beeinträchtigen. Steigt der Yen hingegen, könnte eine grosse Welle von Investitionskapital nach Japan zurückfliessen. Das könnte einen weiteren Ausverkauf an den globalen Bondmärkten, besonders in den USA, auslösen, da dort enorme Mengen an japanischen Sparkapitalien in langfristigen Staatsanleihen investiert sind.

Und – bleibt der Yen billig oder wertet er auf?

Das ist eine schwierige Frage, denn die Bank of Japan kommuniziert sehr intransparent. Ich gehe aber davon aus, dass die BoJ 2024 die Zinsen erhöht, was den Yen steigen lassen wird.

Was würde das für japanische Aktien bedeuten? Wenn der Yen steigt, kommt es normalerweise zu einer Verkaufswelle im Nikkei.

Es stimmt, die Aktien der grossen exportorientierten Unternehmen in Japan kommen normalerweise unter Druck, wenn der Yen erstarkt. Ein Weg, das zu umgehen, ist, auf Titel zu setzen, die am inländischen Konsum hängen. Für mich ist es aber keine Selbstverständlichkeit, dass der Nikkei fallen muss, wenn der Yen steigt. Wenn japanische Investoren ihr Kapital aus dem Ausland repatriieren, werden sie es am heimischen Aktienmarkt anlegen. Ausländisches Kapital strömt ebenfalls nach Japan. Die japanischen Unternehmen sind gesund, sie haben die letzten zwei Jahrzehnte in einem deflationären Umfeld gearbeitet. Nun haben sie plötzlich Preissetzungsmacht, was das Geschäftsumfeld für sie vereinfacht. Und was die Bewertung angeht, ist Japan immer noch sehr attraktiv. Ich bin deshalb zuversichtlich für den japanischen Bullenmarkt.

Nummer drei: Indien.

Indien ist eine grossartige, langfristige Geschichte. Aber der Aktienmarkt ist auch sehr hoch bewertet. Mein grösster Vorbehalt: Die meisten Investoren, die auf Schwellenländer und auf Asien spezialisiert sind, haben Indien gegenwärtig stark über- und China stark untergewichtet. Sollte China, aus welchen Gründen auch immer, positiv überraschen, könnte es zu einer Umschichtung von Investitionskapital aus Indien nach China kommen. Das ist eine Bedrohung, deshalb bin ich von indischen Aktien derzeit nicht allzu begeistert.

Und wie steht es um Lateinamerika?

Der lateinamerikanische Bullenmarkt ist grossartig, ich liebe ihn. Die Geld- und Fiskalpolitik in Ländern wie Mexiko, Brasilien oder Chile war in den letzten Jahren viel orthodoxer als in unseren sogenannt entwickelten Volkswirtschaften. In der westlichen Welt begannen die Notenbanker 2021 wie die Seelöwen zu klatschen, als die Inflation auftauchte, weil sie dachten, das sei alles nur vorübergehend. Währenddessen erhöhte die brasilianische Zentralbank die Zinsen um zehn Prozentpunkte. Diese Leute wussten, was Inflation ist, sie haben den Film schon einmal gesehen und haben beschlossen, dass er ihnen nicht gefällt. Sie haben den Schmerz früh eingesteckt, und jetzt sind sie bereits in der Lage, die Zinsen zu senken. Ein weiterer positiver Aspekt: Weil in den USA die Löhne für Arbeiter am unteren Ende des Einkommensspektrums stark gestiegen sind, haben sich die Überweisungen aus den USA nach Mexiko vervielfacht, was dem dortigen Konsum zugutekommt. Bonds und Aktien in Lateinamerika sind attraktiv. Derzeit können Sie inflationsgeschützte brasilianische Staatsanleihen mit einer Rendite von 6% kaufen. Was will man mehr?

Und der letzte der fünf Bullenmärkte, Uran?

Auch das ist ein struktureller Bullenmarkt, der sich fortsetzen wird. Der Zeitgeist bezüglich Kernenergie hat sich fast überall auf der Welt massiv verändert. Die Menschen erkennen, dass wir Kernenergie brauchen, wenn wir den CO2-Ausstoss ernsthaft begrenzen wollen. Die bittere Wahrheit ist jedoch, dass seit Jahren nicht in die Erschliessung neuer Uranvorkommen investiert wurde. Uran an sich ist nicht knapp, aber es befindet sich meist in schwierigen Gebieten wie der Sahelzone, wo alle zwei Wochen ein Putsch stattfindet. Oder man findet es in Kanada, Kasachstan und Russland. Da aber Investitionen in neue Produktionskapazitäten ausblieben, erleben wir einen strukturellen Nachfrageanstieg, der auf ein knappes Angebot trifft. Wenn der Benzinpreis steigt, können die Menschen ihre Nachfrage jederzeit anpassen und weniger Auto fahren. Bei Uran ist das anders. Sobald Sie ein neues Kraftwerk in Betrieb nehmen, spielt der Uranpreis keine Rolle mehr. Man schaltet das Kraftwerk nicht ab, bloss weil der Uranpreis gestiegen ist. Irgendwann kommt neues Angebot auf den Markt, und der Uranpreis wird wieder sinken. Aber vorerst geht der Lift nach oben.

Und Ihre Meinung zu Gold?

Der Goldpreis wird hauptsächlich durch die Nachfrage in Schwellenländern bestimmt. Wenn es den Menschen in China oder Indien gut geht, kaufen sie Gold. Das stellt eine Herausforderung dar, sollte China weiterhin enttäuschen, während andererseits der Boom in Indien helfen sollte. Ich glaube jedoch, dass der Goldpreis stark anziehen wird, sobald klar wird, dass das Fed die Zinsen aus politischen Gründen senkt und gleichzeitig die US-Regierung das Haushaltsdefizit weiter erhöht. In diesem Szenario dürfte der Dollar fallen und der Goldpreis steigen.

Sie empfehlen seit Jahren Energieaktien. 2023 ist der Öl- und Gassektor aber nicht besonders gut gelaufen. Sind Sie immer noch optimistisch?

Ja. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass in den letzten zehn Jahren zu wenig in Energie investiert wurde. Jeder zusätzliche Dollar oder Euro im Energiebereich wurde in Wind- und Solarenergie gesteckt, was nicht die erhofften Produktivitätsgewinne gebracht hat. Wir haben zehn Jahre lang zu wenig in die Erschliessung fossiler Energieträger investiert, aber die Nachfrage wird weiter steigen. Ich bin überzeugt, dass Länder wie Indien oder Indonesien heute dort stehen, wo China vor zwanzig Jahren stand. Sie alle bewegen sich auf einem Pfad des beschleunigten Verbrauchs. Wir werden in diversen Schwellenländern eine massive Beschleunigung der Nachfrage nach Energie und anderen Rohstoffen sehen. Wenn Sie auf einer Karte eine Linie von Istanbul nach Jakarta ziehen, verbinden Sie 3,6 Milliarden Menschen, China nicht mitgerechnet, in einem Gebiet mit 1% Bevölkerungs- und 5% Einkommenswachstum. Für mich ist die spannendste Geschichte der nächsten fünf bis zehn Jahre die wirtschaftliche Integration des eurasischen Kontinents, das Wachstum der Infrastrukturausgaben und das Wachstum des Handels zwischen Schwellenländern.

Louis-Vincent Gave

Louis Gave, Gavekal: «Das Fed wird die Zinsen aus politischen Gründen senken» (3)

Louis-Vincent Gave ist CEO der Research-Boutique Gavekal, die er gemeinsam mit Charles Gave und Anatole Kaletsky 1999 in London gegründet hatte. Im Jahr 2002 verliess er das Londoner Büro und kehrte nach Hongkong zurück, wo er zuvor als Finanzanalyst für Paribas gearbeitet hatte. Louis hat einen Bachelor-Abschluss von der Duke University, und an der Nanjing University hat er Mandarin studiert.

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Author: Prof. Nancy Dach

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